21.07.2023 Ausgabe: 5/23

Wohin geht die Reise?

Auswirkungen sozialer und wirtschaftlicher Faktoren, nicht zuletzt aber auch der Inflation auf die Immobilienwirtschaft

Der Immobilienmarkt ist ein wichtiger Sektor der deutschen Volkswirtschaft. In den letzten Jahren hat er sowohl bei der Entwicklung des Preisniveaus als auch der allgemeinen Nachfrage hohe Wachstumszahlen verzeichnet. Deutlich gestiegen ist im vergangenen Jahr jedoch auch die Inflationsrate in Deutschland, was Investoren und Käufer im Immobilien­markt verunsichert hat.

Hohe Nachfrage als Preistreiber

Was den deutschen Immobilienmarkt in den letzten Jahren vornehmlich prägte, war der Preisanstieg bei Wohnimmobi­lien, insbesondere in den Großstädten Hamburg, München, Berlin und Frankfurt am Main. In einigen Regionen führte diese Entwicklung zu einer deutlichen Überhitzung des Marktes.

Eine der Hauptursachen für den „Boom“: die anhaltend starke Nachfrage nach Wohnraum. Vor allem in den Groß­städten waren Wohnungen und Häuser in den letzten Jahren immer mehr gefragt, woran sich in absehbarer Zeit kaum etwas ändern wird. Verschiedene soziale, politische und wirtschaftliche Faktoren haben in Deutschland den Zuzug in die Städte forciert.

Der demografische Wandel

Ein Faktor ist die demografische Entwicklung: Je älter die Bevölkerung, desto höher der Bedarf an altersgerech­tem bzw. barrierefreiem Wohnraum. Solche speziellen Wohnraumlösungen bestehen im Zusammenhang mit einem effizienten medizinischen Versorgungssystem vermehrt in Großstädten. Das Altern der Bevölkerung führt aber zugleich auch dazu, dass in einigen ländlichen Regionen ein Über­angebot an Immobilien entsteht.

Die wirtschaftliche Entwicklung

Ein weiterer Einflussfaktor war das Niedrigzinsumfeld der letzten Jahre in Europa. Es hat dazu beigetragen, dass sich die Wirtschaft in Deutschland gut entwickeln konnte: Der Arbeitsmarkt erholte sich und zeigte sich stabil. In vielen Branchen fehlt es an Fachkräften, was zu steigenden Löhnen und Gehältern führte. Diese wirtschaftliche Sicherheit veranlasste viele, sich für den Immobilienkauf zu ent­scheiden. Bei der zu dieser Zeit niedrigen Verzinsung war auch eine höhere Verschuldung leicht in Kauf zu nehmen, hohe Immobilienpreise erschienen somit kaum als Hürde.

Die Folgen der Inflation

Die in den letzten Monaten stark angestiegene Inflations­rate wirkt natürlich auch auf den Immobilienmarkt: Da die Preise für Wohnimmobilien tendenziell schneller steigen als die Inflationsrate, kann es für viele Menschen schwieriger werden, Wohneigentum zu bilden.

Treiber der Inflation in Deutschland waren in den letzten Monaten u. a. die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Störung der Lieferketten infolge des Ukraine-Krieges und staatliche monetäre Förder­maßnahmen. Ein deutlicher Anstieg der Verbraucher­preise zeigt sich bereits seit Beginn der Pandemie. Nun sind zuletzt auch viele Rohstoffpreise, insbesondere im Bereich der Energieträger, stark gestiegen, was wiederum auf die Baukosten von Immobilien wirkt, weil Material und Arbeitskräfte teurer werden.

Eine Folge der Inflation ist die Anhebung des Zins­niveaus in Deutschland. Die Europäische Zentralbank hat sich entschieden, den Leitzins anzuheben, um die Inflations dynamik zu dämpfen. Für Immobilienkäufer steigen damit auch die Kreditkosten. Viele Kaufverträge, die inmitten der Niedrigzinsphasen in den letzten fünf bis zehn Jahren geschlossen wurden, stehen in den kommenden Monaten zur Prolongation an.

Energieeffizienz polarisiert

Indem Klima- und Umweltschutz immer stärker in den Fokus rückten, entstand eine anhaltend starke Nachfrage nach energieeffizienten und nachhaltigen Immobilien, gefolgt von einer prosperierenden Entwicklung dieses Marktsegments. Daraus ergibt sich für den Immobi­lienmarkt nun eine heterogene Situation: Immobilien mit guter Energiebilanz erfreuen sich weiterhin guter Nachfrage, während solche mit schlechten Werten teils nur noch schwer verkäuflich sind – u. U. mit deutlichem Wertverlust. In den kommenden Jahren werden hieraus resultierende Preisdiskrepanzen den deutschen Immo­bilienmarkt prägen.

Die Folgen der Digitalisierung

Die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien stellt eine weitere wichtige Ent wicklung auf dem Immobilienmarkt dar. Immer mehr Menschen nutzen das Internet, um sich über Immobilien zu informieren und um Wohnungen und Häuser zu suchen. Auch immer mehr Immobilienunter­nehmen nutzen digitale Technologien, um ihre Prozesse effizienter zu gestalten und um ihren Kundenservice zu verbessern. Smart Houses und Smart Cities werden als große Themen für Immobilienkäufer und Investoren künftig zur weiteren Konzentration auf die Ballungs zentren und Großstädte führen. Aktuell spielen sie als Treiber dieser Entwicklung noch eine eher untergeordnete Rolle, mit Blick auf eine weiterhin stringente Energiesparpolitik könnten sie sich aber zu die Preise beeinflussenden Faktoren entwickeln.

Fazit

Was sich aus der Gesamtheit der Einflussfaktoren ergibt: Die prognostizierte Preisentwicklung wird zum einen sehr heterogen, aber insgesamt tendenziell konsolidierend verlaufen. Ballungszentren und Großstädte werden sich relativ schnell wieder von den dann niedrigeren Preis­niveaus erholen können, während es bei ländlichen Immo­bilien zu länger anhaltenden Nachhalleffekten durch die Inflationsentwicklung und das daraus folgende hohe Zinsniveau kommen wird. Insbesondere die geplanten politischen Energieeffizienzmaßnahmen dürften sich bei Immobilien in ländlichen Regionen als nur schwer um­setzbar und sehr kostspielig herausstellen. Somit könnte der Immobilienmarkt Chancen für Investoren und Käufer bieten, die sich auf die Nachfrage nach energieeffizienten und nachhaltigen Immobilien sowie auf die steigende Bedeutung von digitalen Technologien in Großstädten konzentrieren.

 

Lipkow, Andreas

Finanzexperte Comdirekt