18.10.2023 Ausgabe: 7/23

Warum die virtuelle Versammlung wichtig ist

Argumente für eine Einführung der zusätzlichen Möglichkeit, Wohnungseigentümerversammlungen nach Beschluss rein virtuell abhalten zu können.

Mit der geplanten Einführung der virtuellen Wohnungseigentümerversammlung (ETV) sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschlussfassung innerhalb einer Eigentümergemeinschaft um das letzte noch fehlende Element ergänzt und mit einer Kann-Bestimmung ver­vollständigt werden. Das qualifizierte Mehrheitserfordernis und die besonderen Voraussetzungen in § 23 IIa des Referentenentwurfs zum Wohnungseigentumsgesetz (WEG-RefE) bringen das Recht auf ordnungsmäßige Verwaltung durch die Gemeinschaft der Wohnungs­eigentümer (GdWE) und die Mitgliedschaftsrechte in einen ausgewogenen und angemessenen Einklang.

Zeitgemäß und effizient

Der vorliegende Referentenentwurf ebnet den Weg zu hybriden, virtuell und in Präsenz durchgeführten Versammlungen auf Grundlage einer Mehrheitsent­scheidung. Dies stärkt die Willensbildung in der Ver­sammlung, insbesondere durch mehr Flexibilität und Geschwindigkeit. Die grundlegende Entscheidung, in welcher Form die Versammlung abgehalten wird, treffen nach wie vor die Eigentümer. Die Möglichkeit, sich rein virtuell zu versammeln, ist aus heutiger Sicht das letzte fehlende Element digitaler Möglichkeiten, und es wird die notwendige Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft ein wichtiges Stück voranbringen. Den Rahmen für die konkrete, insbesondere technische Ausgestaltung werden Rechtsprechung und Praxis festlegen.

Hohes Beschlussquorum

Das Beschlussrecht der §§ 23 ff. WEG lehnt sich seit jeher stark an das Recht der Körperschaften an. Im Aktien­recht (§ 118a Aktiengesetz) sowie im Vereinsrecht (§ 32 II Bürgerliches Gesetzbuch) wurde der Schritt zu virtuellen Mitgliederversammlungen inzwischen vollzogen. Vor­stands- und Aufsichtsratssitzungen von Genossenschaften sollen künftig auch als virtuelle oder hybride Versammlung oder als Versammlung im gestreckten Verfahren durch­geführt werden können.

Mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen erreichen zu müssen, bedeutet in der Praxis eine hohe Hürde. Diejenigen Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer, die bislang nicht persönlich erscheinen, sondern Vollmachten erteilen, werden überwiegend für die virtuelle Versammlung stimmen. Dies ermöglicht ihnen die eigene (virtuelle) Teilnahme und Rechtsausübung. Gleiches dürfte für diejenigen gelten, die bislang weder persönlich erscheinen, noch Vollmachten erteilen, zumindest aber Einladungen/Tagesordnungen und sonstige Korrespondenz lesen und verfolgen.

Weiterentwicklung der Eigentümergemeinschaft

Seit der WEG-Reform 2020 hat die COVID-19-Pandemie die Welt verändert. Die Gesellschaft und die Kommuni­kation ist digitaler geworden. Dies sollte sich auch in der Möglichkeit von Eigentümern widerspiegeln,  Beschlüsse zu fassen. Hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung bleibt die virtuelle Versammlung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar (§ 23 IIa 2 WEG-RefE). Wegen der besonderen Bedeutung des Mitgliedschaftsrechts ist es überzeugend, die Beschränkungsmöglichkeiten, die es bei der hybriden Versammlung in Bezug auf die Rechteausübung gibt, bei der virtuellen Versammlung nicht zu gewähren. In der Praxis wird dies grundsätzlich auf eine Zwei-Wege-Audio-und -Video-Verbindung in Echtzeit hinauslaufen, um das virtuelle Versammlungsformat mit der Rechteausübung und insbesondere dem Stimmrecht als Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte in Einklang zu bringen. Alle Teil­nehmenden sollen sich im Grundsatz in Echtzeit sehen und hören können. Berechtigte Ausnahmen sind denkbar, die technologieoffene Formulierung von § 23 IIa WEG-RefE ist insoweit hilfreich.

Inklusion statt Exklusion

Die Aussage, dass ältere und/oder bildungsschwächere Menschen wenig oder schlechter elektronisch kommuni­zieren als jüngere, ist nicht belegt. Die gesetzgeberischen Maßnahmen während der Corona-Notstandsgesetzgebung haben den Großteil der Gesellschaft mit dem Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln vertraut gemacht. Das gilt für alle Altersklassen, Bildungsgruppen und sowohl für die private als auch die berufliche Umgebung. Der Schub an Digitalisierung erfasst nahezu alle Lebensbereiche.

Das Mitgliedschaftsrecht im Wohnungseigentumsrecht beschreibt zwei Seiten derselben Medaille. Die Gruppe der Wohnungseigentümer hat viele verschiedene, teils gegensätzliche Interessen. Während der Eine die persönliche Teilnahme in der Präsenzversammlung vorzieht und den In-formations- und Meinungsaustausch über einen Beschluss­gegenstand höchstselbst in einem realen Raum miterleben und mitgestalten will, konnte die Andere dies bislang noch nie oder inzwischen nicht mehr, etwa aus gesundheitlichen, beruflichen, geographischen oder sonstigen Gründen. Diese Eigentümergruppe ist bislang auf die Erteilung einer Vollmacht angewiesen und hierbei teilweise zusätz­lich beschränkt auf einen in der Gemeinschaftsordnung vorgegebenen Personenkreis von Stimmrechtsvertretern (z. B. Ehegatten, Lebenspartner, Verwalter oder andere Eigen­tümer). Die durch § 23 I 2 WEG geschaffene Möglichkeit einer Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung (hybride Wohnungseigentümerversammlung) hat gegenüber der Vollmachtlösung zwar den Vorteil, persönlich – wenn auch im Wege elektronischer Kommunikation – dabei zu sein; allerdings ist die hybride Teilnahme wegen des doppelten Teilnehmerkreises weniger mit der Präsenzversammlung vergleichbar als das rein virtuelle Versammlungsformat. Bei Letzterem werden alle teilnehmenden Personen gleichbehandelt.

Vereinfachung von Sanierungsentscheidungen ist geboten.

Auch im Hinblick auf gesetzgeberische Vorgaben mit kürzer werdenden Umsetzungsfristen kann die virtuelle Versammlung helfen: In der Diskussion um die Mitglied­schaftsrechte im Wohnungseigentumsrecht kommt die Immobilie selbst, sprich: das gemeinschaftliche Eigentum und dessen ordnungsmäßige Erhaltung, oft zu kurz. GdWE gehören zu den Schlusslichtern bei der energetischen Gebäudesanierung in Deutschland. Das liegt zum einen sicherlich an dem komplizierten Regelungswerk der §§ 18 bis 21 WEG betreffend bauliche Maßnahmen, zum anderen aber auch an den noch nicht optimal ausgeschöpften Möglichkeiten der Beschlussfassung unter Einbeziehung digitaler Medien.

Der Maßstab der ordnungsmäßigen Verwaltung des ge­meinschaftlichen Eigentums, dem alle Miteigentümerinnen und -eigentümer der GdWE gegenüber verpflichtet sind, hat das Gebäude in seiner Substanz im Blick, nicht dessen Eigentümer bzw. Bewohner. Unabhängig von Alter, finan­ziellen Möglichkeiten, Kreditwürdigkeit, Nutzerverhalten etc. besteht eine Verpflichtung zur Mitwirkung an allen erforderlichen Maßnahmen gegenüber der GdWE.

Immobilienverwaltungen offen für den Schritt

Immobilienverwaltungen stehen der virtuellen Versammlung mehrheitlich offen gegenüber. Das VDIV-Branchenbarometer 2023 belegt das eindrücklich: 36,2 Prozent der Befragten führen Hybrid-Versammlungen durch, haben also Erfahrung mit der digitalen Versamm­lungsdurchführung. 88,6 Prozent von ihnen stehen der virtuellen Versammlung positiv gegenüber. Die große Mehrheit von 83,3 Prozent sieht dabei vielfältige Vorteile.

Das Argument, dass schon jetzt die Mehrheit der Eigentümer durch die hybride Form online teilnehmen kann, erweist sich in der Praxis als nicht zutreffend: Insgesamt halten 57,9 Prozent die virtuelle Versammlung für zielführender als die Hybrid-Versammlung. Unter denen, die bereits Hybrid-Versammlungen durchführen, sind es sogar 70,2 Prozent. 72,3 Prozent beurteilen die hybride Versammlungsform als zu aufwendig in der technischen und praktischen Umsetzung. 77,9 Prozent gaben weiterhin an, dass sie von den Eigentümern zu zögerlich angenommen.

Abschließend sei angemerkt, dass Wohnungseigen-tümergemeinschaften zunehmend Probleme haben, eine qualifizierte Verwaltung zu finden. Ein Grund dafür ist der Fachkräftemangel, was Verwaltungen nötigt, Gemeinschaften abzulehnen oder zu kündigen. Rund 60 Prozent aller Neueinstellungen verlassen die Unter­nehmen innerhalb der ersten beiden Jahre. Als Gründe werden häufig das Fehlen moderner Kommunikations-Tools angeführt und die mangelnde Bereitschaft, in den Abendstunden Eigentümerversammlungen durchzu­führen. Die Möglichkeit, Versammlungen rein virtuell während der Bürozeiten durchzuführen, könnte dazu beitragen, dass Unternehmen für Berufseinsteiger wieder attraktiver werden, sich das Berufsbild positiv verändert. In der Folge haben – vor allem kleine – Wohnungseigen-tümergemeinschaften wieder bessere Chancen, eine professionelle Immobilienverwaltung zu finden, die sie bei den komplexen energetischen Herausforderungen der kommenden Jahre unterstützt.

Kaßler, Martin

Geschäftsführer des VDIV Deutschland