18.10.2023 Ausgabe: 7/23

Prozessoptimierung neu denken

Was kommt nach der Digitalisierung 4.0?

Als die Redaktion von VDIVAKTUELL mit der Anfrage nach einem Gastbeitrag zum Thema „Immobilienverwaltung online“ an mich herantrat, fragte ich mich zunächst: Ist nicht eigentlich schon alles gesagt, oder gibt es tatsächlich noch Informationen, die bisher niemand in einem der zahlreichen Beiträge schon aufgegriffen hat?

In der Tat glaube ich, dass wir beim Thema „Digitalisierung und Prozessoptimierung“ an einem entscheidenden Punkt angekommen sind. Ich werde Ihnen also nichts mehr über papierlose Büros oder Online-Portale erzählen, sondern möchte mit diesem Artikel zum „neuen“ Denken anregen.

Von außen betrachtet gibt es in der Immobilienver­waltung eine Unmenge von Prozessen, die verschiedenste Mitarbeiter oder Abteilungen bearbeiten. Diese Prozesse werden in einem fortschrittlichen Büro permanent hinterfragt, und man versucht, sie zu optimieren. Bei näherer Betrachtung und genauer Analyse ist es möglich, Prozesse zu katalogisieren und nach Schwierigkeitsgrad einzuteilen.

Annähernd 900 Einzelprozesse

Im Rahmen eines Auftrags habe ich in den letzten Jahren einmal in einem größeren Verwaltungsunternehmen sämt­liche Prozesse, die in der Immobilienverwaltung anfallen, erfasst – und stieß auf fast 900 einzelne Vorgänge. Bei deren genauerer Betrachtung war es durchaus möglich, bestimmte Aufgaben zusammenzufassen und so die Zahl der Prozesse deutlich zu reduzieren. Im Endeffekt blieben knapp 200 übrig, die sich zudem verschiedenen Kategorien zuordnen ließen und sich grob unter diese Obergriffe fassen lassen:

  • Sachbearbeitung
  • Technische Verwaltung
  • Buchhaltung
  • Kommunikation
  • Büroorganisation

Anhand dieser Kategorien ist es auch möglich, die in einem Betrieb für diese Bereiche Verantwortlichen zu bestimmen, um permanente Verbesserung anzustreben.

Aufgaben sinnvoll verteilen

Das „neue“ Denken geht eher in Richtung „Automatisie­rung“. Seit die gesamte Branche über Personalknappheit sowie überforderte und genervte Mitarbeiter klagt, liegt es doch nahe, die Aufgaben so aufzuteilen, wie es bereits in einigen Verwaltungsunternehmen umgesetzt wird – stets mit der Frage, wer tatsäch­lich welche Aufgaben im Betrieb übernimmt. Wer kümmert sich zum Beispiel um Schlüsselbestellungen oder den berühmten tropfenden Wasserhahn? Solche Tätigkeiten müssen nicht von Fachkräften der Im­mobilienwirtschaft ausgeübt werden. Zu überlegen ist also, die Aufgabenverteilung innerhalb eines Betriebes so vorzunehmen, dass bestimmte Tätigkeiten nicht mehr die Fachkraft ausführen muss, sondern dass auch Berufsfremde die Möglichkeit haben, in der Immobilienverwaltung zu arbeiten. Hierfür ist es not­wendig, Prozesse genau zu definieren, um zu eruieren, inwiefern sie auch von einer „Nichtfachkraft“ bearbeitet werden können. Nach meiner Analyse sind das ca. 50 Prozent aller Prozesse, vorausgesetzt, sie sind vernünftig dokumentiert, etwa durch FAQs. Das eröffnet jedem die Möglichkeit, anhand der Prozessdokumentation einen Auftrag innerhalb der Verwaltung zu erledigen, was mindestens drei Vorteile hat:

  1. Die Fachkräfte werden durch den Wegfall der Nebenaufgaben entlastet und können sich um das Kerngeschäft kümmern.
  2. Die Personalsuche lässt sich auf Nichtfachkräfte bzw. Quereinsteiger erweitern, sodass die Aufgaben der Verwaltung auf mehr Schultern verteilt werden.
  3. Die Personalkosten können durch die Aufteilung der Aufgaben gesenkt werden, da nicht ausschließ­lich die hohen Gehälter für Fachpersonal bezahlt werden müssen.

Dieses ist bzw. war sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, den einige Verwaltungen bereits getan haben. Im Zuge der Umsetzung der oben genannten Punkte ist die erwähnte Digitalisierung i.d.R. automatisch parallel mit­gelaufen und wird von mir an dieser Stelle nicht mehr erörtert. Ist dies nun aber alles, oder kann man noch weiter gehen?

Was lässt sich automatisieren?

Nach der beschriebenen Vorgehensweise liegt nun eine genaue Dokumenta­tion aller in einer Verwal­tung anfallenden Prozesse vor. Sie unterscheiden sich zudem in ihren Schwierig­keitsgraden und werden im Betrieb entsprechend verteilt. Im nächsten Schritt stellt sich nun die Frage nach den Möglichkeiten der Automatisierung, die sicher nicht im Kleinen beginnt. Die Kundenportale der verschiedenen Anbieter sind hier sicherlich hilfreich. Telefonate beispielsweise von Kunden, die nach verlegten Unterlagen suchen, müssen nicht mehr angenommen werden, denn sie können sie einfach und bequem über ein solches Portal herunterladen. Damit ist dieser Prozess schon komplett automatisiert – es bedarf nur noch der Tätigkeit des Bereitstellens der Dokumente im Portal. Verfolgt man diesen Gedanken weiter, sind auch kleine Aufträge wie die Schlüsselbestellung komplett auto­matisiert darstellbar: Ein solcher Auftrag geht online im Portal ein und könnte direkt an den für das Objekt beauftragten Schlüsseldienst weitergeleitet werden. In dieser Online-Bestellung könnten auch bereits alle Zahlungsmodalitäten – wie in einem Online-Shop – ab­gefragt werden, sodass auch der Bezahlvorgang keine manuelle Tätigkeit mehr erfordert.

Noch einen Schritt weiter: Können nicht auch „kleinere“ Reparaturaufträge automatisiert direkt an den zuständigen Handwerker weitergeleitet werden? Hierfür könnte man in einer Eigentümergemeinschaft zur Sicherheit verschiedene Rechte vergeben, sodass z. B. der Beirat einen solchen automatisierten Reparaturauftrag auslösen kann, die übrigen Miteigentümer aber nicht.

Zeitfresser externe Kommunikation

Diese Beispiele zeigen, über welche Automatisierungsgrade sich Verwaltungen bzw. die Anbieter der von ihnen genutzten verschiedenen ERP-Systeme Gedanken machen sollten. Zunächst betrifft dies nur die externe Kommunikation, die meiner Erfahrung nach der größte Zeitfresser in Verwaltungen ist. So schränken erste Verwaltungen ihre Telefonzeiten nicht nur ein, sondern schaffen sie etwa für Mieter komplett ab, sodass An­fragen an die Verwaltung nur noch online eingehen, um automatisiert den verschiedenen Kategorien zugeordnet und abgearbeitet zu werden. Hilfreich hierbei kann Künstliche Intelligenz (KI) sein, die von verschiedenen Herstellern bereits eingesetzt wird, um Anfragen auto­matisch auszuwerten und zuzuordnen. Umso wichtiger ist dies, da zu den telefonischen Anfragen auch noch zahllose E-Mails kommen, die zu beantworten sind. Welch eine Erleichterung, wenn diese E-Mails ausgelesen und entsprechend aufbereitet zur weiteren Bearbeitung bereitgestellt werden!

Ein klarer Appell an die ERP-Hersteller

Warum können nicht auch die im ERP-System an­fallenden Aufgaben automatisiert werden? Wofür müssen monatlich Sollstellungen in der Buchhaltung, am 10. jedes Monats Mahnungen an die Eigentümer und Überweisungen über Bankportale etc. manuell erzeugt werden? Warum kann das nicht automatisiert im Hintergrund erfolgen. Diese Tätigkeiten kosten Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat wertvolle Arbeitszeit, die dafür eigentlich nicht aufgewendet werden müsste. In den Programmen jedes ERP-Systems sind Prozesse hinterlegt, die sich wahrscheinlich automatisieren ließen. Wir stehen hier noch am Anfang und der Zeitgewinn für die Immobilienverwaltung wäre enorm.

Michels, Ralf

Der Geschäftsführer der A.S. Hausverwaltungs- & Projektentwicklungs-GmbH ist Präsidiumsmitglied des VDIV Deutschland.