18.10.2023 Ausgabe: 7/23

Mietrecht: Grunddienstbarkeit und nachträgliche Baulast

(BGH, Urteil vom 30.6.2023 – Az. V ZR 165/22, Rechtsfortbildung zu BGH, Urteil vom 3.2.1989 – Az. V ZR 224/87)

Das Thema

Die bauliche Nutzung sogenannter Hinterlieger-Grundstücke, die nicht durch eine öffentliche Straße direkt erschlossen sind, hängt in der Regel von Dienstbarkeiten ab, die die Erschließung über das Vorderlieger-Grundstück sichern. Solche im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeiten sind teilweise sehr alt (noch aus der Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jahrhundert) und entsprechen daher nicht mehr den heutigen Bedürfnissen und neueren rechtlichen Regelungen. So ist immer wieder streitig, wie viel Pkw-Verkehr eine für Pferdekarren bestellte Dienstbarkeit zulässt oder welcher Leitungsdurchmesser heute im Rahmen einer Ver- und Entsorgungsdienstbarkeit aus den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts verlegt werden darf. Schließlich haben inzwischen alle Bundesländer (außer Bayern) das öffentlich-rechtliche Rechtsinstitut der Baulast geschaffen, deren Eintragung in das Baulastenverzeichnis in der Regel Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung ist. Die Frage, ob der Eigentümer eines dienenden Grundstücks im Rahmen einer Grunddienstbarkeit auch verpflichtet ist, der Eintragung einer entsprechenden Baulast zuzustimmen und damit die öffentlich-rechtliche Erteilung der Baugenehmigung zu ermöglichen, hat der Bundesgerichtshof (BGH) 1989 noch verneint. Mit dem neuen, hier zu besprechenden Urteil, erkennt er unter bestimmten Voraussetzungen nun eine entsprechende Verpflichtung des Nachbarn an.

Der Fall

Im Jahr 1928 wurde ein großes Grundstück erstmals aufgeteilt in ein Vorderlieger- und ein Hinterlieger-Grundstück. Das Vorderlieger-Grundstück wurde mit einer Grunddienstbar­keit (Geh- und Fahrtrecht) belastet. Im Jahr 1938 wurde das Hinterlieger-Grundstück erneut in drei Grundstücke aufgeteilt, wobei die Dienstbarkeit auf dem Vorderlieger-Grundstück nun zugunsten jedes der drei neu entstandenen Hinterlieger-Grundstücke gilt. Eines der Hinterlieger-Grundstücke wurde 1938 mit einem Wohnhaus bebaut. Eines der beiden bislang unbebauten Hinterlieger-Grundstücke soll nun mit einem Wohnhaus bebaut werden. Der Eigentümer verlangt vom Nachbarn, dem Eigentümer des dienenden Grundstücks, die Abgabe einer entsprechenden Baulast-Erklärung zum Eintrag in das öffentliche Baulasten-Register. Gemäß der bisherigen Rechtsprechung haben die unteren Instanzen einen solchen Anspruch verneint. Der BGH erleichtert nun die Voraussetzungen dieses Anspruchs.

Mit der Bestellung der (sachenrechtlichen) Grundschuld ent­steht ein gesetzliches Begleitschuldverhältnis, aus welchem sich der Anspruch auf Übernahme einer deckungsgleichen Baulast ergeben kann. Hierfür ist das jeweilige Bedürfnis des Berechtigten maßgebend. Wächst dieses nachträglich, so wird dadurch der Umfang der Dienstbarkeit erweitert, allerdings nur, soweit sich die Steigerung in den Grenzen einer gleichbleibenden Benutzung des dienenden Grund­stücks hält und außerdem nicht auf eine unvorhersehbare und willkürliche Änderung bei der Nutzung des herrschenden Grundstücks zurückzuführen ist. Erste Voraussetzung für den Anspruch auf eine Baulast ist, dass die Grunddienstbarkeit solche Nutzungen umfasst, die durch die Bebauung des herrschenden Grundstücks hervorgerufen werden und dieser dienen. Bei einem Geh- und Fahrtrecht ist zunächst zu prüfen, ob es für eine bestimmte Nutzungsart des herrschenden Grundstücks vereinbart ist. So würde ein Wegerecht, das ausdrücklich nur zu land- und forstwirt­schaftlichen Zwecken eingeräumt ist, eine Benutzung des herrschenden Grundstücks zu Wohnzwecken nicht decken. Für eine solche Beschränkung auf einen bestimmten Zweck bedarf es aber eindeutiger Anhaltspunkte, sei es in der Bestellungsurkunde, sei es durch Umstände außerhalb der Urkunde. Ein unbeschränktes Geh-und Fahrtrecht sichert die Zuwegungen zum herrschenden Grundstück dagegen 

für jede zulässige Nutzung. Bedarfssteigerungen sind bis zur Grenze einer willkürlichen Nutzungsänderung hinzunehmen. Wenn ein unbebautes Grundstück in einem Gebiet liegt, in dem mit einer baulichen Erschließung, auch langfristig, zu rechnen ist, wandelt sich das Wegerecht entsprechend der Änderung der Umgebungsgrundstücke. Das kann insbesondere bei Stadtrandlagen der Fall sein.

Darüber hinaus spielt es jedoch keine Rolle, ob die Parteien bereits bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit den Zweck verfolgten, eine Bebauung des Hinterlieger-Grundstücks zu ermöglichen. An einer entsprechenden Formulierung aus dem Urteil von 1989 hält der BGH nicht fest. Diese sieht er vielmehr als missverständlich an und als im Rahmen der vorrangigen Interessenabwägung niemals tragend. Da eine Änderung und ggf. Ausweitung der Nutzungsbedürfnisse vorhersehbar und von der Grundschuld in gewissem Umfang gedeckt ist, ist dies für das dienende Grundstück nicht überraschend, und umgekehrt müssen sich die Eigentümer des Hinterlieger-Grundstücks darauf verlassen können, was aus den Urkunden hervorgeht. Die Nachforschung nach einem damals beabsichtigten, viele Jahrzehnte zurückliegenden Zweck kann ihnen nicht angesonnen werden.

Auch der öffentlich-rechtliche Charakter der Baulast steht diesem Anspruch nicht entgegen. Vielmehr würde die Grunddienstbar­keit ganz erheblich entwertet, wenn das später hinzugetretene Erfordernis der Baulast nun das Ausnutzen einer eingetragenen Grunddienstbarkeit erheblich erschwert oder gar unmöglich macht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Erfordernis der Baulast zum Zeitpunkt der Bestellung der Grunddienstbarkeit noch nicht bestand oder die Parteien sich dessen nicht bewusst waren oder aber eine entsprechende schuldrechtliche Verpflichtung in weiteren Erwerbsvorgängen nicht weitergegeben wurde. Nur wenn die Parteien um die Erforderlichkeit der Baulast wussten und sehenden Auges auf sie verzichteten, könnte ein späterer Anspruch möglicherweise ausgeschlossen sein.


VERWALTERSTRATEGIE

Verwaltungen von dienenden wie auch von herrschenden Grundstücken müssen sich dessen bewusst sein, dass der Inhalt von Dienstbarkeiten mit den Bedürfnissen des herrschenden Grunstücks in gewissen Umfang wachsen kann. Um Rechtsstreitigkeit zu vermeiden, sollten die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten und Ansprüche genau ausgelotet werden. Dies gilt nicht nur für eine notwendige Erschließung bei einer Neubebauung, sondern gerade auch für den Nutzungsumfang einer bestehenden Dienstbarkeit.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com