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Wie der Sanierungsstau auf die Wertentwicklung von Immobilien wirkt.#
Selbstverständlich spiegelt sich in der Überschrift eine (ökonomische) Wertung. Zumindest aus der Perspektive derjenigen, die vermeintlich alles richtig gemacht haben. Die Rede ist von den Millionen sogenannter Babyboomer, welche a) im Laufe ihrer Berufstätigkeit Wohneigentum gebildet haben und b) in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen werden – das traditionelle deutsche Modell von Erika und Max Mustermann.
„Richtig gemacht“ bedeutet in diesem Fall, idealerweise ein Haus oder eine Wohnung gebaut bzw. gekauft zu haben, wie rund 95 Prozent aller anderen auch finanziert über eine Kreditaufnahme, deren letzte monatliche Hypothekenrate zwischen dem 55. und 62. Lebensjahr getilgt wurde, und nunmehr den Lebensabend genießen zu dürfen. Rücklagen für anfallende Sanierungen der Immobilie wurden bestenfalls auch gebildet – meist über einen Bausparvertrag.
Dieses idealisierte Modell gerät nun zunehmend ins Wanken und sorgt aktuell für Verunsicherung, Nachfragen, teils sogar Panik. Die jeweils aktuellen Umwälzungen und Herausforderungen erscheinen nun einmal immer als die größten, die es jemals gab. Aber stimmt das denn auch?
Gefühlt und mit Blick auf die Schlagzeilen in den deutschen Leitmedien, mag das so erscheinen, in der nüchternen Welt der rationalen Analyse ist es klar zu verneinen. Letztlich kündigen sich 99 Prozent aller „plötzlichen“ Ereignisse mit Vorlauf an. Man hätte es vorhersehen können, wird retrospektives Versagen dann gerne kommentiert. Die Wenigsten jedoch konnten sich vorstellen, dass das eigene Haus in den Fokus einer Veränderung an den Energiemärkten gerät, auch weil die deutschen Qualitäts- und Baustandards schließlich zweifelsfrei zu den höchsten in Europa zählen.
Mit dem Stichwort „Klimawandel“ wird dieser Prozess zwar gerne, aber eben nur unzureichend und etwas nebulös umschrieben. Dabei werden Passivhäuser seit 15 Jahren nicht nur immer mehr propagiert, sondern durch entsprechende Baugesetze und Förderungen, z. B. über KfW-Kredite, auch ökonomisch schmackhaft gemacht. Hinzu kommen nun die nach 40 Jahren fälligen energetischen Sanierungen – auch angefacht durch die Pandemie, während der man Zeit hatte, sich damit auseinanderzusetzen, und natürlich durch den russischen Angriffskrieg und die daraus folgende Explosion der Energiepreise. Der Begriff „Wärmepumpe“ ist mittlerweile den meisten geläufig, selbst der laienhafte Blick auf Neubau und Sanierungen erkennt viele neue Werkstoffe wie Polystyrole, besser bekannt als Dämmplatten – man kann die Augen davor nicht verschließen. Zweifelsfrei nicht zu übersehen und in der Folge nicht zu überhören waren die im Koalitionsvertrag beschlossenen „Maßnahmen zur energetischen Sanierung des Gebäudebestands“.
Gespeist wurde diese Entwicklung auch durch eine über zehn Jahre anhaltende Aufwärtsbewegung an den wohnwirtschaftlichen Immobilienmärkten, zuletzt durch das sogenannte Null-Zins-Umfeld. Auf dem Papier hat sich das bisher alles gerechnet – auch Bestandsimmobilien erfuhren enormen Wertzuwachs. Doch diese Phase ging spätestens mit dem Krieg und den ersten Zinserhöhungen zu Ende. Man kann sich des latenten Gefühls nicht erwehren, dass Immobilien immer schneller immer älter werden und durch stetig neue Anforderungen letztlich an Wert verlieren.
Grundsätzlich wäre zu unterscheiden zwischen den beiden Varianten „Nix tun“ und „Investieren“. Bei ersterer tendiert man dazu, unter rein ökonomischer Prämisse, sich das im Alter von 60 Jahren nicht mehr anzutun und das für den Lebensabend Ersparte konsumartig zu verwenden. Der Blick auf die jeweils geltende Sterbetafel mag vordergründig despektierlich erscheinen. Nüchtern betrachtet aber sollten den umfassenden Investitionskosten von rund 110.000 Euro für Fenster, Dach, Heizungstausch etc. in den statistisch verbleibenden 18,5 Lebensjahren eines heute 60-jährigen Mannes in Deutschland Erträge von mindestens 110.000 Euro gegenüberstehen – und zwar vereinfacht ausgedrückt durch Einsparung steigender Energiekosten und ggf. neuer Sondersteuern wie der CO2-Abgabe. Steht das Haus in einer Wegzugsregion, kann man nicht mal mehr den Wertzuwachs des Grundstücks erwarten. Im Gegenteil, der Verkehrswert geht gegen Null.
Die Variante „Investieren“ wäre eine, die neben der rein ökonomischen Perspektive auch starke Zukunftsaussichten mit sich bringt. Zu den oben beschriebenen Aspekten – in ihrer positiven Ausprägung – käme der Werterhalt bzw. die Wertsteigerung, auch mit Blick auf die Nachkommen. Dass hier die geographische Komponente, also Zuzugs- oder Weg-zugsregion, ebenfalls eine Rolle spielt, liegt auf der Hand.
Beide Beispiele, exemplarisch und vereinfachend dargestellt, zeigen auf, dass es viele Graubereiche gibt, angesichts derer nicht alle sofort mit einer energetischen Sanierung beginnen wollen. Altruistisch handeln nur die wenigsten, etliche andere warten – auf neue Fördertöpfe, steuerliche Entlastungen, den weiteren technischen Fortschritt und eine klare Linie der Politik, um für die nächsten Jahre erst mal Ruhe zu haben. So wird die Energiehypothek weiter zum wertbeeinflussenden Faktor.
In der aktuellen Marktphase ist daher mit dem Verfall der Immobilienpreise zu rechnen, wenn schlecht sanierte Objekte in Wegzugsregionen zum Verkauf angeboten werden. Zahlen aus dem ersten Quartal 2023 zu solchen Preisanpassungen weisen eindeutig in diese Richtung, und ihre Dynamik wird in den kommenden Quartalen zunehmen: Mehr dieser Objekte werden angeboten, da man den Ausstieg nicht verpassen möchte. Der Markt wird dann seine Bodenbildung gefunden haben, die Energiehypothek freilich bleibt.
Professor für Immobilienwirtschaft,
HBC Hochschule Biberach