01.04.2023 Ausgabe: vdivDIGITAL 2023/1

Der Traum vom "einen" ERP

Wie sinnvoll ist eine einheitliche ERP-Lösung für alles überhaupt?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass jedes Unternehmen in irgendeiner Art und Weise ein ERP im Einsatz hat. Also dürfte die Frage, ob ein ERP sinnvoll ist, damit schon beantwortet sein. Aber ist es wirklich so einfach? Was ist denn überhaupt ein ERP? Die Begriffsdefinition lässt sich leicht im Internet suchen und finden. Ganz allgemein handelt es sich um eine Lösung, die alles, was im Unternehmen so abläuft, plant, steuert und verwaltet. Aber ehrlich, gibt es diese eine Lösung und funktioniert das wirklich? Hat nicht jeder ein Sammelsurium an Teillösungen?

Gehen wir ein paar Jahrzehnte zurück und betrachten die Anfangszeiten. Ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, in denen ich als Jugendlicher in meiner Freizeit dazu verdonnert wurde, über Endlos-Lastschriftformulare die monatlichen Hausgelder der WEG und Eigentümer mittels einer hochmodernen Schreibmaschine auf Basis einer handgestrickten Liste abzutippen. Kontoumsätze wurden handschriftlich in Quadratmeter große Papierlisten eingetragen, um dann am Jahresende mittels Rechenschieber oder Taschenrechner zusammenaddiert zu werden, um wiederum mittels einer Schreibmaschine die Zahlen auf einem Abrechnungsblatt zusammenzutragen und als Einzelabrechnung zur Beschlussfassung vorzulegen. Dann kam die große Zeit der Softwarelösungen.

Corona als Katalysator

Seither ist einige Zeit vergangen und vieles hat sich verändert. Bis vor Corona war man darum bemüht, das Vorhandene weiterzuentwickeln und dem Bedarf anzupassen. Man kann schon sagen, dass dies der eine oder andere ERPHersteller recht gut gemacht hat. Corona hat damit ganz sicherlich nichts zu tun, aber die Pandemie war ein Katalysator für eine neue Arbeitswelt. Viele Sichtweisen und Ansprüche aus dem Arbeitsalltag waren vor der Pandemie noch nicht reif genug, aber das hat sich nun grundlegend geändert.

Gibt es also ein weiter so? Die Einstellungs- und Personalgespräche der letzten drei Jahre zeigen ganz klar, dass es ein weiter so nicht geben kann!

Niemand will mehr so arbeiten wie gestern und die Frage, ob wir morgen noch so arbeiten möchten wie heute, ist eigentlich auch schon beantwortet. Die Transformation der Digitalisierung führte sicherlich in allen Unternehmen zu komplexeren und sensibleren Konstrukten. Begriffe wie ERP, CRM, Portal, Plattform etc. sind mittlerweile allgegenwärtig. Gibt es also die „eine“ Lösung? Was ist die richtige Antwort darauf? Leider nein – und ich wünsche mir daher die eine perfekte ERP-Softwarelösung! Oder: Zum Glück nicht – da das Zusammenspiel der einzelnen Lösungen qualitativ besser ist? Wenn ich mir vorstelle, meine Softwarelösungen wären einzelne Instrumentalisten eines Orchesters, würde es sich vermutlich nach Guggenmusik (alemannische Fasnachtsmusik) anhören.

Wir haben zwar bedarfsgerechte Insellösungen, aber eine gute Interaktion ist nicht wirklich zu erkennen. Nochmals ein Blick zurück: Früher haben wir aus dem ERP heraus E-Mails geschrieben und verwaltet. Outlook und andere Lösungen machen dies um ein Vielfaches besser. Früher haben wir im ERP Vorgänge verwaltet, bearbeitet und geführt. Heute machen das Plattformen wie casavi, facilioo, etg24, iDWELL und weitere um ein Vielfaches besser. Früher haben wir im ERP Wasserzähler verwaltet und kleinere Heizkostenabrechnungen gemacht. Heute werden derartige Dinge outgesourct, da der Aufwand, es selbst zu tun, zu hoch geworden ist. Unser ERP ist zum DatenBestandshalter, Buchhaltungsprogramm und Abrechnungsprogramm für den Wirtschaftsplan verkümmert

Wünsche an das eine ERP

Was wünsche ich mir von einem ERP? Diese Frage kann ich gar nicht so einfach beantworten, da ich nicht mehr wirklich weiß, ob es das eine ERP überhaupt noch gibt und ob der Begriff für diese eine Softwarelösung überhaupt noch angemessen ist. Muss es ein neues ERP geben, das wiederum alles kann, was wir in der neuen Arbeitswelt benötigen? Oder muss das ERP verstehen und akzeptieren, dass es seine tragende Rolle verloren hat?

Was wünsche ich mir von den Verantwortlichen, die hinter dem ERP stecken und für den Wandel verantwortlich sind? Wir sind auf einem gemeinsamen Weg. Der Weg der Veränderung der Arbeitswelt kann nur gemeinsam und miteinander begangen werden. Erfolg wird sich nur einstellen, wenn wir bewusst miteinander reden und uns gut zuhören. Wir machen zwar alle dasselbe, aber jeder macht es anders! Wir müssen die Prozesse von Anfang bis Ende anschauen und gemeinsam zukunftsfähig machen.

Die aktuelle Betrachtung zum Thema ERP hat etwas mit Digitalisierung zu tun. Digitalisierung hat etwas mit unserer neuen Arbeitswelt zu tun. Unsere neue Arbeitswelt hat sich mit dem Fachkräftemangel auseinanderzusetzen. Man sieht schon, dass es gar nicht so einfach ist, hier eine klare Aussage zu treffen, wie sinnvoll ein ERP ist. Der damalige Ansatz, weg von einem papierhaften Lastschriftträger, hin zu einer automatisierten Computerlösung zu kommen, reicht heute nicht mehr aus. Stellen wir Vergleiche mit der Industrie an, müssen wir feststellen, dass diese wesentlich weiter sind als wir. Stellen wir Vergleiche mit unserer aktuellen privaten HandyNutzung her (vollumfängliche und perfekte Kommunikation, Rechnungsbezahlung mit Scan und einfacher Freigabe etc.), müssen wir feststellen, dass wir hier viel weiter sind. Sieht es also düster um unsere ERP-Landschaft aus? Ganz sicherlich nicht. Es steckt noch viel Potenzial drin und die aktuellen Gespräche und der Austausch mit den alten und neuen ERP ist vielversprechend. Stellen wir uns also die Frage, wie wir morgen arbeiten möchten und versuchen dann Lösungen dafür zu finden. Die vorhandenen, alten Lösungen so zu verbiegen, dass sie den neuen Ansprüchen genügen, dürfte jedoch nicht ausreichen.

Ziesel, Christian

Geschäftsführer Ziesel Hausverwaltung OHG