21.07.2023 Ausgabe: 5/23

WEG-Recht: Geltendmachung von Mängelrechten gegen Bauträger (Neubau) und Verkäufer (gebrauchte Eigentumswohnung) unterfällt nicht der Ausübungsbefugnis

§9a Abs. 2 WEG

Das Thema 

Das neue Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (WEMoG) sollte die bisherige Rechtsprechung zum Bauträ-gervertragsrecht unberührt lassen. Daraus wurde geschluss­folgert, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) weiterhin die auf Beseitigung von Mängeln am ge­meinschaftlichen Eigentum gerichteten Rechte durchsetze, wenn sie die Rechtsverfolgung per Mehrheitsbeschluss an sich gezogen habe. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun bestätigt. 

In der amtlichen Gesetzesbegründung zum WEMoG (Bun­destags-Drucksache 19/18791) heißt es auf Seite 47, dass die in der Streichung des § 10 Abs. 6 S. 3 Woh-nungseigentumsgesetz (WEG 2007) liegende Abschaffung der so­genannten gekorenen Ausübungsbefugnis so­wie die Neureglung des § 9

a Abs. 2 WEG 2020 (WEMoG) die bisherige Rechtsprechung zum Bauträgervertragsrecht unberührt lassen. Vie­le zogen daraus den Schluss, dass somit weiterhin die GdWE die auf Beseitigung von Mängeln am ge­meinschaftlichen Eigentum gerichteten Rechte anstelle der Erwerber bzw. Käufer durchsetze, wenn sie die Rechts­verfolgung per Mehrheitsbeschluss an sich gezogen habe. Jetzt hat der BGH diese Sichtweise erstmals bestätigt und entschieden, dass die Mängelrechtsverfolgung von vorn­herein nicht der Ausübungsbefugnis gemäß § 9a Abs. 2 WEG unterfällt und die Beschlusskompetenz für das „Ansichziehen“ aus §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG folgt.

Mit Urteil vom 11. November 2022 zum gerichtlichen Ak­tenzeichen V ZR 213/21 bestätigt der BGH, dass die Strei­chung der gekorenen Ausübungsbefugnis nach dem alten § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG keine Auswirkungen auf die bisherige Praxis der Mängelrechtsverfolgung hat. Das Urteil wurde von dem u. a. für das Wohnungseigentum und den Grundstückskauf zuständigen V. Zivilsenat gesprochen, da der zugrunde liegende Fall den Kauf von gebrauchten Eigen­tumswohnungen betraf, nicht den Erwerb neuer Wohnungen vom Bauträger. Die Vorsitzende Richterin des V. Zivilsenates, Dr. Bettina Brückner, teilte indessen auf der Fachtagung 2022 in Fischen/Allgäu mit, dass vor der Entscheidung eine interne Abstimmung mit dem u. a. für das Bauvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenat des BGH erfolgt sei. Die Ausfüh­rungen im Urteil dürften daher weitreichend auch für die Mängelrechtsverfolgung gegen Bauträger gelten.

Der Fall

Die Beklagte, eines der größten in Deutschland tätigen Immobilienunternehmen, teilte das Grundstück mit dem vorhandenen Altbau im Jahr 2012 in Wohnungs- und Teileigentum auf und begann mit dem Verkauf. Ab Januar 2013 ließ sie für den ursprünglich beabsichtigten, letztlich aber nicht durchgeführten Bau einer Tiefgarage die Böden des Innenhofs auf deren Tragfähigkeit untersuchen. Dabei wurde eine aufgefüllte Kiesgrube mit Altlastenverdacht ent­deckt, was eine Bodenanalyse auf Schadstoffe erforderlich machte. Während dem Altlastenverdacht teilweise nach­gegangen wurde, schloss die Beklagte für weitere Einheiten Kaufverträge ab, unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. Nachdem ein Baugrunduntersuchungsbericht eingetroffen war, setzte die Beklagte den Verkauf von Wohnungen an weitere Käufer fort, wobei in den Kaufverträgen auf eine Altlastenauskunft der zuständigen Gesundheitsbehörde der Landeshauptstadt München hingewiesen wurde.

Am 22. Mai 2014 und am 8. Oktober 2015 fanden Eigentü­merversammlungen statt, in denen die Wohnungseigentümer beschlossen, die Beklagte wegen der Altlasten gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Die Beschlüsse wurden nicht an­gefochten. Das Landgericht München I hat mit Urteil vom 27. April 2018 festgestellt, dass der Klägerin Ansprüche auf sogenannten kleinen Schadensersatz zustehen. Die wei­tergehende Klage hat es abgewiesen. Auf die Berufungen beider Parteien hat das Oberlandesgericht (OLG) München nach mündlicher Verhandlung vom 1. Juli 2021 – also nach dem Inkrafttreten des WEMoG zum 1. Dezember 2020 – mit Urteil vom 2. September 2021 das Urteil abgeändert, den Hauptantrag abgewiesen und die Beklagte auf den Hilfs­antrag zur Beseitigung der vorhandenen Altlasten durch Sanierung bestimmter Grundstücksflächen verurteilt, soweit ein bestimmter Benzoapyren-Wert im Oberboden über­schritten wurde.

Bezüglich der Zulässigkeit der Klage führte das OLG aus, dass sich die Prozessführungsbefugnis der GdWE nach 

der Neuregelung der Ausübungsbefugnis zum 1. De­zember 2020 aus § 9a Abs. 2 WEG ergebe, da die Nach-erfüllungsansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer gemeinschaftsbezogen im Sinne dieser Vorschrift seien. Zudem folge die Prozessführungsbefugnis aus den bei­den Eigentümerbeschlüssen, mit denen die GdWE die Rechtsverfolgung an sich gezogen habe. Das OLG ließ die Revision zum BGH zu.

Zumindest im Ergebnis – nicht in der Begründung – folgt der BGH dem OLG. Entgegen der Ansicht des Berufungs­gerichtes unterfielen die auf Beseitigung von Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum gerichteten Rechte (hier: Nachbesserung) nicht der gesetzlichen Ausübungsbe­fugnis gemäß § 9a Abs. 2 WEG. Der Anwendungsbereich dieser Norm sei nicht eröffnet. Stattdessen folge die Pro-zessführungsbefugnis der Klägerin für die ihr fremden Rechte aus den Kaufverträgen (gebrauchte Eigentums­wohnungen) aus den Beschlüssen der Eigentümerversammlungen vom 22. Mai 2014 und 8. Oktober 2015. Die Beschlüsse hätten ihre Wirkung nicht durch das während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene WEMoG für die Zukunft verloren. Soweit sich die Beklagtenseite auf den vorletzten Absatz der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 9a Abs. 2 berufe, wonach Beschlüsse, die auf Grundlage des alten § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG a. F. gefasst wurden, ab 1. Dezember 2020 nach allgemeinen Grund­sätzen (Verstoß gegen Verbotsgesetz, § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) „für die Zukunft ihre Wirkung verlieren würden“ (BT-Drucksache 19/18791, Seite 47), sei diese Aussage offenkundig nicht auf die Rechtsprechung zum Bauträgervertragsrecht bezogen (Rn 35 des Urteils).

Die Beschlusskompetenz, die gemeinschaftliche Rechts­verfolgung an sich zu ziehen, folge nach neuem Recht aus § 18 Abs. 1 und § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG. Ob ein Anspruch auf die kaufvertragliche Nachbesserungspflicht (§ 439 Abs. 1 BGB) gestützt werde oder sich aus dem Werkver-tragsrecht ergebe (§§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 BGB), spiele keine Rolle. Der BGH habe bereits vor der Normierung der Ausübungsbefugnis in § 10 Abs. 6 S. 3 WEG a. F. (galt vom 1. Juli 2007 bis 30. November 2020) entschieden, dass es sich bei der Mängelbeseitigung am gemeinschaftlichen Eigentum bzw. dessen erstmalige mangelfreie Herstellung um Unterfälle der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 21 Abs. 1 und 5 Nr. 2 WEG a. F.) handele, sodass es keines Rückgriffs auf die Beschlusskompetenz in § 10 Abs. 6 S. 3 WEG a. F. bedurft habe. Diese Erwägungen behielten auch nach der neuen Gesetzeslage (WEMoG) ihre Gültigkeit. Dies gelte jeden­falls für die primären Mängelrechte, z. B. Nacherfüllung.

Der für das Bauträgerrecht zuständige VII. Zivilsenat des BGH zieht nach: Die GdWE kann die Geltendmachung von Mängelansprüchen der Erwerber aus den Bauträgerver­trägen per Mehrheitsbeschluss an sich ziehen. Die große Reform des WEG zum 1. Dezember 2020 (WEMoG) hat an der Beschlusskompetenz der Eigentümer und der Prozess-führungsbefugnis der GdWE nichts geändert. Nachdem zuerst der u. a. für das Wohnungseigentumsrecht und den Kauf gebrauchter Eigentumswohnungen zuständige V. Zivilsenat des BGH dies im vergangenen Jahr entschieden hatte, schließt sich der VII. Senat dem ausdrücklich an. Sein Beschluss vom 1. Februar 2023, Az. VII ZR 887/21, wurde am 16. März 2023 auf der Website des BGH veröffentlicht. Im dortigen Fall hatte der in den Vorinstanzen unterlege­ne Bauträger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Prozessführungsbefugnis der GdWE bekämpfen wollen. Damit scheiterte er endgültig.


VERWALTERSTRATEGIE

Jedenfalls für die Geltendmachung primärer Mängelrechte aus Kaufvertrag und Werkvertrag (Bauträgerrecht) müssen Ver­waltungen dafür sorgen, dass Beschlüsse herbeigeführt werden, durch die die Rechtsverfolgungsbefugnis von den einzel­nen Käufern bzw. Erwerbern aus deren individuellen Erwerbsverträgen kollektiv auf die GdWE übergeleitet wird. Wichtig ist, dass darin keine Rechtsübertragung im Sinne einer Abtretung liegt, sondern die Rechtsinhaberschaft bei den Käufern bzw. Erwerbern verbleibt und die GdWE die für sie fremden Rechte im eigenen Namen geltend macht. Juristen nennen das Pro-zessstandschaft. Der BGH hält daran fest, dass ein „Ansichziehen“ einen Kollektivakt (Beschluss) voraussetzt. Eine individuelle Erklärung des Verwalters, dass die GdWE die Rechtsverfolgung ausübt, genügt nicht.

Ist ein Bauprozess gegen den Bauträger oder Verkäufer von Wohnungseigentum mangels Prozessführungsbefugnis unzuläs­sig, kann die Beschlussfassung auch während der gerichtlichen Anhängigkeit nachgeholt werden. Bei Verjährungsgefahr kann sich die Frage ergeben, inwieweit eine unzulässige Klage den Lauf der Verjährungsfrist hemmen konnte, wenn ein solcher Beschluss nachgeholt wird.

Der BGH erspart der Praxis Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Kauf- und Werkvertrag, indem er insoweit keine recht­lichen Unterschiede sieht (Rn 30).

Wie immer sind auch Beschlüsse über ein „Ansichziehen“ in der Einladung anzukündigen. Die Beschlusskompetenz folgt aus § 18 Abs. 1 WEG, wonach die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der GdWE obliegt, in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG, wonach zur ordnungsmäßigen Verwaltung insbesondere die ordnungsmäßige Erhaltung gehört. 

Der BGH versteht diesen Begriff in einem weiten Sinne, der es erlaubt, die erstmalige mangelfreie Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums bereits als Erhaltung anzusehen.

Kaufverträgen und Bauträgerverträgen über den Erwerb von zu errichtendem, neu errichtetem, totalsaniertem oder gebrauchtem Wohnungseigentum sind per se Beschränkungen der Rechtsverfolgungskompetenz immanent. Jedenfalls primäre Mängelansprüche kann und darf der einzelne Erwerber nicht individuell verfolgen, wenn die Gemeinschaft die Rechtsverfolgung durch einen Mehrheitsbeschluss an sich gezogen hat. In einem solchen „Ansichziehen“ liegt also zugleich ein „Wegnehmen“ aus der Hand des Rechtsinhabers. Wie die Rechtslage bei sekundären Mängelansprüchen ist (kleiner Schadensersatz, Minderung), bleibt abzuwarten. Hierzu musste sich der BGH nicht äußern. Eine Stellungnahme des VII. Zivilsenats bleibt ebenfalls abzuwarten.

Die streitgegenständlichen Mängel (Altlastenverdacht) betrafen nicht das Gebäude, sondern die Grundstücksfläche (Böden im Innenhof und im südlichen Außenbereich). Sie sind zwingender Bestandteil des gemeinschaftlichen Eigentums und werden auch im Bauträgervertragsrecht nach kaufrechtlichen Elementen übereignet. Im vorliegenden Fall spielte dies keine Rolle. Bauträgerverträge hingegen setzen sich aus einem kaufrechtlichen und einem werkvertraglichen Element zusammen. Darauf kam es hier nicht an.

Bildlich gesprochen hat der BGH die ausgestreckte Hand des Gesetzgebers (Seite 47 der amtlichen Begründung) ergriffen und hält an der bisherigen Rechtslage fest. Jedenfalls dann, wenn – wie hier – gleichgerichtete Ansprüche mehrerer Erwerber auf Erfüllung bzw. Nacherfüllung gegen einen einzigen Veräußerer verfolgt werden, gibt es für den BGH keine Veranlassung zur Abkehr von bisherigen Rechtssprechungsgrundsätzen.

Der Verweis auf die Beschlusskompetenz nach WEMoG (§§ 18, 19 WEG) dürfte im vorliegenden Fall nicht weiterhelfen. Maß­geblich ist die Beschlusskompetenz im Zeitpunkt der Beschlussfassung, hier also 2014 und 2015. Es ist anzunehmen, dass die damalige Beschlusskompetenz (§ 21 Abs. 1, 3 und 5 Nr. 2 WEG a. F.) über den 30. November 2020 hinaus fortwirkt und die damals gefassten Beschlüsse alle damaligen, aktuellen und zukünftigen Eigentümer binden (§ 10 Abs. 3 S. 2 WEG bzw. § 10 Abs. 4 WEG a. F.). Die damaligen Beschlüsse wurden also nicht etwa am 1. Dezember 2020 hinfällig und wirkungslos.

Im Ausgangspunkt liegt die Rechtsverfolgungskompetenz für Mängelrechte aus Bauträger- und Kaufverträgen beim einzelnen Erwerber. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, denn der Wohnungseigentümer, der selbstständig Ansprüche auf mangelfreie Erstherstellung oder Beseitigung von Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum verfolgt, handelt im wohlverstandenen Interesse aller anderen Eigentümer und im Gemeinschaftsinteresse. Ob und inwieweit in Ausnahmefällen anderes gelten kann, musste nicht beurteilt werden. Brenzlig sind insoweit unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Soll-Beschaffenheitsvereinbarungen zu dem geschuldeten Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums in verschiedenen Verträgen.

Eine Beschlusskompetenz zum Zugriff auf die Mängelrechtsverfolgung bezüglich des Sondereigentums gegen den Willen des Erwerbers dürfte weiterhin nicht gegeben sein. Darin läge kein zulässiges „Ansichziehen“, sondern ein unzulässiges (nichtiges) Wegnehmen der Rechtsverfolgungszuständigkeit des alleinigen Rechtsinhabers. Denkbar dürfte jedoch weiter­hin sein, dass der Sondereigentümer die GdWE ermächtigt, (auch) insoweit Mängelansprüche gegen den Bauträger bzw. Ver­käufer geltend zu machen. Dies entspricht ebenfalls der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus der Zeit vor dem 1. Juli 2007.

Für Beschlüsse, die nach dem 1. Dezember 2020 gefasst werden, ergibt sich die Beschlusskompetenz zum „Ansichziehen“ der Mängelrechtsverfolgung in Bezug auf Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum aus § 18 Abs. 1 und § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG. Es handelt sich laut BGH um eine besondere Variante der Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums.

 

 

Schmidt, Dr. Jan-Hendrik

Der Partner der Hamburger Sozietät W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt ist Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der ARGE Mietrecht und Immobilien im Deutschen Anwaltverein (DAV)